Verschollenes wieder neu entdecken
Leider wird vieles vergessen. 

Auch Heiligenröder und Sandershäuser wanderten nach Amerika aus

 In der Zeit von 1820 bis 1900 sind mehr als 5 Mio. Deutsche nach Amerika ausgewandert.

Damals war ein großer Teil der Dorfbevölkerung in Deutschland bettelarm. Man versorgte sich recht und schlecht von der Landwirtschaft, Jeglicher Fortschritt wurde erschwert durch die vielfältigen Abgaben und Dienste an die Obrigkeit. Eine Steigerung der Erträge führte zwangsweise zu höheren Abgaben und Leistungen. Auch das in dieser Zeit geltende Erbgesetz verschlimmerte die Armut. Die Anbauflächen der einzelnen Bauern wurden immer kleiner. Die Feldarbeit war wegen der kleinen Felder noch mühevoller. Die Äcker brachten trotz mehr Arbeit weniger Ertrag.
Durch mehrere Missernten kam zu der Armut auch noch Hunger hinzu. Die Lage war für viele Dörfler schier aussichtslos.
Auf der anderen Seite erreichten die Menschen immer wieder die Meldungen, dass im Einwanderungsland Amerika alles besser sei. Dort seien die Chancen für ein besseres Leben grenzenlos. Zahlreiche Agenturen und Reedereien verbreiteten diese Aussagen.
Zum Beispiel förderte die Hansestadt Bremen die Auswanderung durch gezielte Werbung im In- und Ausland sowie durch die Organisation des Auswanderertransports. Das Geschäft mit den Auswanderern war in dieser Zeit ein wichtiger Teil der Bremer Wirtschaft. So gelang der wirtschaftliche Durchbruch des „Bremer Havens“ mit dem Aufschwung des Auswanderergeschäfts. Um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, erließ Bremen das erste Gesetz, das die Überseepassage von Auswanderern regelte. Die Bremer Vorschriften waren für die Auswanderer günstiger als in anderen Häfen.
Zu dieser Zeit war das Reisen sowohl in Deutschland als auch in Amerika noch sehr beschwerlich. Auf dem Lande reiste man noch mit Pferdekutschen, die Eisenbahn steckte noch in den Kinderschuhen und in der Schifffahrt fand der langsame Wandel von den Segelschiffen zu den dampfbetriebenen Schiffen statt. Dauerte eine Überfahrt von Bremerhaven nach New York mit dem Segelschiff zwischen 6 und 8 Wochen, so verkürzte sich bei einem Dampfschiff die Ozeanüberquerung auf 2 bis 3 Wochen.
Für alle Auswanderer war die Emigration ein großes Abenteuer, und doch wagten es viele.
In vielen Niederschriften und Tagebüchern sind die Strapazen der Überfahrt mit dem Schiff und die lange beschwerliche Weiterreise in dem großen Amerika beschrieben.
Das Museum „Auswandererhaus Bremerhaven“ widmet sich ausschließlich des Themas „Auswanderer von Deutschland nach Amerika im 19. Jahrhundert“

Auswanderer aus unseren Ortsteilen
In den Jahren 1824 bis 1866 sind

  • 74 Einwohner aus Heiligenrode und
  • 16 Einwohner aus Sandershausen

nach Nordamerika ausgewandert. Sie wagten das Abenteuer und verließen ihr Dorf in das Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“.
Mit Sicherheit sind auch vor und nach der angegebenen Zeitspanne Heiligenröder und Sandershäuser ausgewandert. Hier fehlen jedoch Dokumente.
1855 wanderten auch mehrere Heiligenröder Familien nach Australien aus. Eine Familie Mergard sowie ein Georg Brethauer und ein Alexander Semmelroth machten sich auf den langen Weg nach Australien. 

 
Der bekannteste Auswanderer aus Heiligenrode ist Friedrich Bernhard.
Der junge Mann war um 1885 nach Amerika ausgewandert. Dort ist er wohlhabend geworden.
Im Jahr 1922 schickte er aus Dankbarkeit an seinen Heimatort der Gemeinde einen größeren Geldbetrag. Dieser sollte zur Milderung der Armut im Dorf verwendet werden. Die Gemeindeväter beschlossen jedoch, ein größeres Gemeindehaus an der Kasseler Straße 26 zu bauen.
Vermutlich wurde nicht der gesamte Betrag für den Bau verwendet. Denn in dem Protokollbuch des Handwerkerverbandes aus dem Jahre 1927 steht: „Die Zinsen der Bernhard- Stiftung von 600 Mark werden an die Ärmsten der Gemeinde verteilt.“ Man kann daraus schließen, dass der Rest der Geldspende auf dem Sparbuch lag und Zinsen brachte.

Die Gemeinde Heiligenrode bedankte sich mit einer Tafel mit der Inschrift:

DEM STIFTER DIESES HAUSES HERRN FRIEDRICH BERNHARD 
AUS GRANTWOOD BERGEN COUNTY STATES OF NEW JERSAY U. S. A.
DIE DANKBARE GEMEINDE HEILIGENRODE

Die Tafel ist auf einem unscheinbaren Stein montiert. Der steht an der Hausecke des Gebäudes in der Kasseler Straße.

Wie es den Auswanderern in der „neuen Heimat“ ergangen ist, kann nicht eindeutig geklärt werden. Möglicherweise gibt es private Recherchen in Familienchroniken. Da keine Chroniken zu finden waren, wurde das Projekt eingestellt. Es entstand keine Broschüre

Durch Zufall tauchte ein Tagebuch eines Auswanderers aus dem Nachbarort Niederkaufungen auf. Das Tagebuch war ursprünglich in Deutsch geschrieben und später von einem Nachkommen in Englisch übersetzt. Die Autorin Barbara Orth übersetzte es wieder ins Deutsche.

Berichte eines Auswanderers aus Niederkaufungen
In dem Buch „Auswanderung aus Kaufungen im 18. Jahrhundert“ von Barbara Orth berichtet ein Deutsch- Amerikaner vom beschwerlichen Leben in der neuen Heimat und vom Besuch seines Geburtsorts Niederkaufungen 1875.
Der Amerikaner mit deutschen Wurzeln August Brethauer wanderte als 3jähriger mit seinen Eltern von Niederkaufungen nach Amerika aus. Die Familie siedelte sich nach mehreren Stationen in dem Ort Belleville (Illinois, USA) an. August ging dort zur Schule, machte eine Lehre als Maurer und später als Schriftsetzer bei einer Zeitung.
In seinen Tagebüchern berichtete er auch von der Familie Justus und Ricke Iske mit ihren Kindern Elise, Anna, Marie und August. Die Iskes lebten in der Nachbarschaft der Brethauers. Sie stammten aus Heiligenrode und lebten seit 1881 auch in dem Ort Belleville.
Als 24jähriger wollte August Brethauer seinen Geburtsort besuchen und machte sich auf eine beschwerliche Reise, die er in einem Tagebuch festhielt.
500 Dollar hatte er für die Reise gespart. 30 Dollar kostete die Fahrkarte für einen Dampfer im Zwischendeck (dritte Klasse). Für die Eisenbahnfahrt von Bellerville – East St. Louis – Columbus (Ohio) – Jersey City (New Jersey) – New York zahlte er 22 Dollar. Den Preis für die Fahrkarte der Eisenbahnfahrt von Hamburg nach Kassel hatte er nicht notiert.

Die Fahrt begann am 30.05.1875. Nach 3 Tagen war er in New York. Am Nachmittag des 03.06. lichtete das Dampfschiff die Anker. Nach 12 Tagen, mit Zwischenstopps in Cherbourg (Frankreich) und Plymouth (England) kam er in Hamburg an. Nach einer Übernachtung in Hamburg ging es dann am nächsten Morgen per Eisenbahn weiter über Lüneburg – Hannover – Göttingen - Kassel. Am anderen Morgen gegen 08.00 Uhr, also nach 18 Tagen, endete dann die Reise am Hauptbahnhof in Kassel. Dort wurde er von Verwandten abgeholt, mit der Pferdekutsche dauerte es noch einige Stunden, bis er Niederkaufungen erreichte.
Bei seinem Aufenthalt in Niederkaufungen besuchte er auch Windhausen und Heiligenrode. Am Ortseingang von Heiligenrode traf er drei Inspektoren, die an der Flurbereinigung arbeiteten. Sie sagten ihm, dass sie Justus Iske gut gekannt hatten. Doch keiner von seiner Familie lebten mehr im Ort. Nur ein Sohn seiner Schwester würde noch in Kassel wohnen. Auch ein Besuch im Gasthaus „Deutscher Kaiser“ brachte keine neuen Informationen. Der Besitzer Jacob Tripp erzählte ihm, dass er Justus Iske auch gut gekannt habe. In Heiligenrode gäbe es keine Familienangehörige. 

Auszüge aus einem Brief eines deutschen Auswanderers
Ein Johann Dieterich, der aus Nordhessen stammte, schreibt am 13. August 1855 einen Brief aus Weston (Missouri, USA) an seine Mutter und Geschwister. Dieser Brief im Original ist im Besitz von Frau Anita Brostmeyer aus Heiligenrode.
In dem Brief beschreibt der Johann Dieterich seine Probleme in dem neuen Land, seine finanzielle Lage und seine Wünsche für die Zukunft.
Hier werden nur Auszüge des langen Briefes wiedergegeben. Diese Auszüge sind zum besseren Lesen an unsere heutige Sprache angepasst.

Liebe Mutter und Geschwister!
Da bereits ein Jahr dahin gegangen ist, so wird es euch angenehm sein, etwas von mir zu hören. Die Ursache ist, ich bin von meinem Bruder Conrad dieses Frühjahr abgereist. Warum? Weil es
mir in Muscatine (Kleinstadt in Iowa, USA) nicht mehr gefallen hat. Den Grund will ich euch schreiben.
Im Wesentlichen war die Religion der Grund für die Zerwürfnisse.
Als ich in Amerika ankam, habe ich mich sehr gewundert über diese Menschheit, in diesem Lande, und ich will sie euch auch ein wenig erklären, in diesem Lande hat man mehr als 10 verschiedene Glauben und keiner taugt nichts. Tausende von Pfaffen, und keiner ist nichts wert, denn hier ist es so, da geht einer zu der, und der andere zu jener Kirche, und ich habe schon öfters Prediger getroffen, welches früher Schneider und Schuster waren. Stellen sich auf die Kanzel, und wollen predigen, aber Gott weiß, wie sie predigen, wollen die Leute ermahnen, rufen aus, der Herr hat uns dazu berufen, ich aber sage, ihre Faulheit hat sie dazu berufen, das sind lauter so Lumpen, die sich von ihrem Handwerk nicht mehr nähren können.
Ich war gerade bei meinem Vetter Mark. Weil mein Name in diesem Lande Schaan ausgesprochen wird, und alles per du geht, hier sagt man vor Pfaffen, Amtsleute und wenn`s der König ist, alles per du. Der Pfaff sagte zu mir: „Schaan, willst du nicht bald ein Christ werden?“ Ich gab ihm aber eine schmutzige Antwort und sprach: „Glaubst du vielleicht ich bin ein Heide? Ermahne dich selbst, ein Pfaff welcher früher Bäckergeselle war, kann mich gar nicht ermahnen.“
Ihr müsst mir recht geben. Ich bin doch von meinem 6. Lebensjahr in eine Christliche Schule gegangen, und mein Lehrer hat mir dann evangelisch und reformierten Glauben gelehrt. Ich habe einmal den Glauben angenommen, warum sollte ich abfallen? Paulus sagt, behalte deinen Glauben, darum werde ich auch nie einen anderen Glauben annehmen.

Zu seinem Einkommen und seinen Ausgaben
Ich arbeite in einem Geschäft. Der Verdienst, den ich habe, ist unglaublich. Ihr habt schon bemerkt, dass ich die Wahrheit schreibe. Ich arbeite an einem Stück und verdiene in der Woche 8 bis 10 Dollar. Nach eurem Geld sind 8 Dollar mehr als 11 Reichstaler. Das kommt euch viel vor, ist bei uns aber nicht viel.
Wenn ich reisen könnte, würde ich bald ein reicher Mann sein, aber meine Ausgaben sind jede Woche 4 Dollar, nach eurem Geld nahe 5 Taler. Ich muss 3 Dollar für Kost und Logie bezahlen, ½ Dollar jede Woche für Wäsche, ½ Dollar kann ich rechnen für sonstige Ausgaben.
Das kleinste Geld in Amerika sind 5 Cent. Nach eurem 2 gute Groschen. Für die geringste Kleinigkeit muss ich 5 Cent zahlen. Ein Glas Bier kostet 5 Cent. Ich kann rechnen, dass ich wöchentlich 12 Taler nach eurem Geld verdiene, muss aber 5 Taler für meine Ausgaben abrechnen.

Seine Pläne für die Zukunft
Ich bin in einen anderen Staat (Missouri) gereist, wo noch sehr viel Land zu kaufen ist. Ich würde gerne 160 Acker Land kaufen, der Acker kostet nach eurem Geld 2 Taler. Doch das Land ist noch nicht bebaut und muss erst hergerichtet werden. Hier ist es nicht so wie bei euch, dass man hier ein Stück und da ein Stück Land liegen hat, sondern man hat sein ganzes Land zusammenliegend.
160 Acker ist schon gut, wenn man die zusammenliegen hat. In den Staaten Kansas und Nebraska, die ungefähr 60 Meilen von hier entfernt sind, kann man das Land kaufen.

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